Er hiess Velvet. Weil er so ein wundervolles weiches, samtiges Fell hatte. HATTE... leider beschied ihm sein Schicksal nur ein kurzes Leben. Knappe 4 Jahre...
Geboren wurde er etwa im Herbst 2007. Als Kleinstwelpe, ein paar Monate, lebte er wohl bei Menschen, die ihn lieb hatten, er wurde vielleicht geherzt, geküsst und gekuschelt. Das merkte man an dem, dass er keine Scheu vor Menschen hatte, als er, schön ausgekämmt und gebürstet, in einer Obstkiste, obendrauf ein schwerer Sack... vor einem slowakischen Tierheim abgestellt wurde.
Als ich ihn kurz darauf im Zwinger mit anderen Hunden sah, unglücklich, total deplaciert, irritiert, vor Schreck geweitet die hübschen schwarzen Äuglein, konnte ich nicht anders. Er kam zu mir ins Haus, in Pflege. In meinem Haus lebte er mit meinen Hunden, spielte mit ihnen, mit meiner jungen Angelina oder mit Kindern die zu Besuch kamen. Oder ruhte sich aus, kuschelte in den vielen rundherum liegenden Körbchen. Ein dankbarer, bescheidener, fröhlicher kleiner Hundemann.
Doch dann kam es anders...
Dieser fröhliche, aufgeweckte Bursche konnte plötzlich nicht mehr stehen. Seine Beine krampften. Kein "normaler" epileptischer Anfall. Eher so was wie ein Wadenkrampf. Er verlor weder Speichel noch Urin, verdrehte die Augen nicht, sie waren offen und klar, er war stets bei Bewusstsein. Augenblicke später konnte er die Beine wieder normal bewegen. Er stand auf, schüttelte sich und war wieder der fröhlichste Hund der Welt.
Die Tierärtze in der Slowakei haben geröntgt, abgetastet, gebeugt, gedrückt und alle möglichen Tests durchgeführt. Ohne Befund.
Die einzige Möglichkeit, die noch blieb, um seine Probleme zu diagnostizieren, war eine Computertomographie. Da in der Slowakei nicht vorhanden, fuhren wir am 22. Mai nach Brünn in die Jaggy Klinik, dort gibt es die notwendigen Geräte. Dort wurde Velvet vom Onkel Doktor erst mal ganz allgemein durchgecheckt, dann wurden diverse neurologische Tests durchgeführt.
Davon abgesehen, daß bei einem Gehtest eine leichte Seitenasymetrie auffiel, war alles okay. Das Röntgenbild war ohne Befund. Alle Knochen in Ordnung.
Anschließend dann, in Narkose, die Magnetresonanztomographie, MRT. Eine Liquoruntersuchung, auch das EEG (Gehirnstromuntersuchung) haben nichts ergeben. Alles ohne Befund.
Viele "böse Geschichten" konnten ausgeschlossen werden. Kein Tumor, der irgendwo drauf drückt. Keine Schäden an der Wirbelsäule oder den Bandscheiben. Keine üble Entzündung irgendwo. Kein Rückenmarksinfarkt.
Nachdem die Untersuchungen so ausgegangen sind, wie sie ausgegangen sind, blieb nur eine Ursache für die Krämpfe übrig. Partielle Epilepsie.
Velvet wurde auf Medikamente eingestellt. Problemlos, Monatskosten ein paar EUR. Seitdem war er ohne Anfall und ein fröhlicher, lieber Bursche.
Kein Wunder, dass seine Vermittlungsanzeige bald einem lieben Interessenten aus Österreich auffiel. Es war Liebe auf den ersten Blick, hat man mir gesagt. Nach erfolgreichen Vermittlungsgesprächen wurde das schwarze Samtbündel Anfang Juli 2008 in die Arme seines neuen Herrchen und Frauchen gelegt. Alles lief gut, hie und da kam eine positive Meldung, Bildchen, alles OK. Eine ganz normale Vermittlung.
Doch dann kam es nochmals anders...
Vor wenigen Tagen erreichte mich der Anruf von Velvets Herrchen, tränenunterdruckend schilderte er, Velvet ist krank, kann seit einigen Tagen ein Hinterbeinchen nicht benutzen, wurde geröntgt, der Verdacht auf ein tumoröses Geschehen wurde geäussert... eine Gewebsbiopsie wurde angeraten, noch besser ein MRT, Magnetresonanztomographie. Sofort bat ich um einen Termin in Brünn, bei „Onkel Doktor“ Tomek in der Jaggy Klinik, er erinnerte sich an Velvet und organisierte schnellstens einen Untersuchungtermin. Wieder wurde Velvet gründlich neurologisch untersucht, Dr. Tomek kräuselte die Stirn... auch er äusserte einen Verdacht. Noch war nicht sicher, was befallen ist (jedenfalls im Bereich des Becken/Hüftgelenks), noch bestand die Hoffnung, dass es vielleicht doch nur eine starke bakterielle Infektion ist, die den „Schatten“ im Röntgenbild verursacht.
Zwei bange Wartestunden, alle Szenarios durchgekaut, Tränen sind ungehemmt geflossen, zwischen Hoffnung und Realitätsfurcht... Das MRT bestätigte die Röntgenuntersuchung: eindeutig etwas neugebildetes, nicht hingehörendes. Sehr wahrscheinlich ein Tumor, oder vielleicht doch die bakterielle Entzündung? Noch ein kurzer Aufschub, die histologische Untersuchung der Gewebsprobe war im Gange... „die Färbung wird es zeigen“ – ja und dann die volle Wahrheit, die Zellfärbung bestätigte die schlimmste Diagnose, einen Weichteilsarkom, das invasivste, bösartigste im Tumorgeschehen. Unbehandelbar. Schmerzlich. Kräftezehrend.
Ein Tumorgeschehen war ihm in die Wiege gelegt.
Seinem trauernden Herrchen bleiben Erinnerung an DEN Hund seines Lebens, immer brav, immer abrufbar, immer folgsam, immer fröhlich, immer da, für ihn, seine Frau, für Enkel, gar für den Kater, der seinem kranken Freund in den letzten Tagen mit Körpernähe die schwindende Energie wiedergeben wollte...
Ich trauere mit. Y Neumann 5. November 2011